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Wohnraumverschwendung erzeugt Wohnungsmangel

Wohnraumverschwendung erzeugt Wohnungsmangel

In den deutschen Metropolen und Ballungsräumen, aber auch in zahlreichen kleineren und mittleren Städten, ist Wohnraum in den vergangenen Jahren zu einem immer knapperen Gut geworden. Ein Beitrag des Wirtschaftshistorikers Carl-Ludwig Holtfrerich, emeritierter Professor der Freien Universität Berlin, für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zeigte kürzlich Gründe für den aktuellen Wohnungsmangel auf, die in den tagesaktuellen Debatten oftmals aus dem Blick geraten. Darin verweist der Autor auf die grundsätzlich verschiedenen Lösungsansätze, die in den beiden Teilen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgt wurden, um Mangelsituationen zu beheben, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern und den wirtschaftlichen Wiederaufbau einzuleiten. Nach der Währungsreform hätten zunächst auch die Westdeutschen vor Lebensmittelläden Schlange gestanden und entbehrliche, nicht essbare Besitztümer zum Tausch gegen Lebensmittel angeboten. Doch Ludwig Erhard habe als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft der Bizone zugleich mit der Währungsreform auch für die Abschaffung von rund 400 Preisvorschriften gesorgt, die von den Nationalsozialisten 1936 eingeführt und von den vier Militärregierungen der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst beibehalten worden waren. Schon am Tag nach der Währungsreform seien in den Schaufenstern zuvor kaum erhältliche Waren mit D-Mark-Preisen zu sehen gewesen. Im Osten dagegen sei nach der dortigen Währungsreform zwar reichlich Geld vorhanden gewesen, doch habe dieses nicht genügt, um Waren zu kaufen. Die Preise blieben gedeckelt und die Zuteilung von Waren und Wohnungen wurde rationiert.

Bei der Zuteilung von Wohnungen mit den gedeckelten Mietpreisen von 1936 seien in der DDR heiratswillige junge Menschen bevorzugt worden, um die niedrige Geburtenrate der DDR zu erhöhen. Daher hätten Menschen nicht immer aus Liebe geheiratet, sondern um eine Wohnung zu erhalten. Der Mietpreisstopp habe der DDR-Wohnungswirtschaft allerdings nicht ermöglicht, Dächer, Fenster und Fassaden instand zu halten oder Wohnungsmodernisierungen durchzuführen. Für Thermostatventile sei kein Geld da gewesen, und die Preise für Heizenergie waren ebenfalls gedeckelt. Infolgedessen hätten die Bewohner ihr Raumklima durch Öffnen und Schließen der Fenster reguliert, was eine volkswirtschaftliche Energieverschwendung riesigen Ausmaßes zur Folge gehabt habe. Wessen Wohnung nach dem Auszug der Kinder oder des Lebenspartners zu groß wurde, der hatte keinen Anreiz, sie für jüngere Familien mit Kindern und größerem Wohnraumbedarf freizumachen, was eine riesige Fehlverteilung von knappem Wohnraum gewesen sei.

Heute lege die Wohnungspolitik in Deutschland einen Schwerpunkt auf Sozialwohnungen mit gedeckelten Mieten und bekomme die gleichen Schwierigkeiten wie die Wohnungspolitik der DDR. Berlin habe sogar versucht, ohne Rücksicht auf die Qualität der Wohnungsangebote einen allgemeinen Mietendeckel einzuführen. Mit Blick auf die Erfahrungen aus dem sozialen Wohnungsbau in Berlin in den zurückliegenden Jahrzehnten verweist Holtfrerich darauf, dass dieser mit einer großen Verschwendung staatlicher Subventionen verbunden gewesen sei und dass die Baukosten pro Quadratmeter in Berlin seinerzeit etwa doppelt so hoch lagen wie im freien Wohnungsbau in Westdeutschland, da die Höhe der staatlichen Subventionen für Bauherren sich nach der Höhe der Baukosten richtete. Dazu komme die Verschwendung von Wohnraum in Sozialwohnungen, wenn deren Mieter inzwischen zu den Gutverdienenden gehörten, aber ihre Wohnung mit der niedrigen Miete nicht aufgäben. Da die Monatsmieten niedriger seien als der Preis für ein verlängertes Wochenende in einem Berliner Hotel, gäben viele Berliner selbst bei einem Wegzug aus der Stadt ihre Wohnung nicht auf, und Wohnraum werde – wie alle anderen Güter mit Preisdeckeln – gehortet.

Vor diesem Hintergrund verweist der Autor auf das Problem, dass mit dem sozialen Wohnungsbau sogenannte Objektförderung betrieben werde, so wie mit jeder Subvention in Form von Preisvorschriften. Damit würden auch diejenigen begünstigt, die gar nicht bedürftig sind. Obwohl sich weltweit nahezu alle Wirtschaftswissenschaftler in ihrer Ablehnung von Objektförderungen einig seien, griffen Politiker in populistischer Manier gern zu diesem Mittel, da sie sich damit ihrer finanziellen Verantwortung für soziale Probleme entziehen können. Stattdessen setzten sie lieber auf Mietpreisbremsen, die die Vermieter besteuern oder enteignen.

Schon 2018 habe der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums in einem Gutachten zu sozialer Wohnungspolitik die Abschaffung der Mietpreisbremse und ein Ende der staatlichen Förderung für sozialen Wohnungsbau empfohlen. Statt der Objektförderung sollten die Mittel für die Aufstockung von Wohngeld – eine Subjektförderung – verwendet werden.

„Den Hinweis von Holtfrerichs, dass die Verdrängung solcher Wahrheiten auf Dauer dem Wohlstand und dem sozialen Gedeihen eines Gemeinwesens schwer schaden, sollte man Wohnungspolitikern nicht nur in Berlin ins Stammbuch schreiben“, kommentiert Jacopo Mingazzini, Vorstand von The Grounds, den Beitrag. „Mit einem konsequenten Wechsel von der Objektförderung und staatlichen Markteingriffen zu einer effizienten und zielgenauen Subjektförderung ließen sich mehrere Probleme am Wohnungsmarkt gleichzeitig lösen. Angebot und Nachfrage würden sich besser aufeinander einpendeln, ohne dass dies zulasten wirklich Bedürftiger ginge.“